Die Geschichte von Joseph Hubertus Pilates

Die Geschichte von Joseph Pilates ist eine Inspiration für alle. Ein krankes Kind wurde zum Fitness-Guru, der nach Amerika ging, weil er nicht unter einem politischen Regime arbeiten wollte, dem er misstraute. In New York eröffnete er ein Studio und unterrichtete dort eine Methode, die er Contrology nannte, die wir heute als Pilates kennen.

Joseph Hubertus Pilates kam am 09. Dezember 1883 in Düsseldorf zur Welt, eine Rheinstadt, die sich schnell zum industriellen Zentrum Nordwestdeutschlands entwickeln sollte. Als Kind litt er an verschiedenen Krankheiten, die vor allem seine Wirbelsäule in Mitleidenschaft zogen: Asthma, Rachitis und Rheuma. Vor allem aber fürchtete man, dass das kränkliche Kind anfällig für Tuberkulose sein könnte, die in der Zeit vor der Verbreitung der Antibiotika fast immer tödlich verlief.

Im späten 19. Jahrhundert wurden sogenannte SPA'S in Deutschland immer beliebter und man entdeckte den Wert von körperlicher Bewegung an frischer Luft. Die meisten Menschen waren davon überzeugt, dass dieses «Turnen» Krankheiten vorbeugen und heilen konnte. Als Pilates von ein Junge war, wurde an eini-gen deutschen Schulen bereits «Gymnastik» unterrichtet, um körperliche Kraft, Ausdauer und Koordination zu schulen.

Pilates fand die Idee der Selbstheilung durch Körperübungen interessant und arbeitete hart daran, seine durch die Krankheit entstandenen Bein- und Wirbel-säulendeformationen zu korrigieren. Mit 14 Jahren hatte er eine so ausgeprägte Muskulatur entwickelt, dass man ihn bat, für anatomische Zeichnungen Modell zu stehen.

Doch Pilates schätzte nicht nur Gymnastik, sondern auch Boxen. Er war in Deutschland als Lehrer für Selbstverteidigung tätig, bevor er 1912 nach England ging, wo er auch als Zirkusartist auftrat. Man engagierte ihn bald, um die Beamten von Scotland Yard zu schulen. Auch den grossen Boxer Max Schmeling trainierte er. Sein ganzes Leben drehte sich um die Idee der Fitness. Damit war sein Lebensweg vorgezeichnet.

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbracht, wurde Pilates als feindlicher Ausländer interniert, zuerst in Lancaster, gegen Ende des Krieges dann auf der Isle of Man. In diesen Lagern entwickelte er erste Ideen zum Thema «Fitness und Gesundheit» und ermutigte andere mitzumachen. So war er auf der Isle of Man in einem Lazarett tätig und erfand eine Vorrichtung mit Bettfedern, die es Verletzten erlaubte, ihre Muskeln zu trainieren, ohne verletzte Regionen zu schädigen.

Von 1918 – 1919 wütete eine Grippeepidemie in Europa und forderte mehr als 20 Millionen Opfer. Interessanterweise blieb die Zahl der Opfer in dem Lazarett, in dem Pilates arbeitete, gering, obwohl die Patienten dort durch ihre Verletzungen stark geschwächt waren. Viele der Kranken schrieben dies Pilates Trainings-system zu.

Nachkriegsjahre
Nach dem Krieg kehrte Pilates nach Deutschland zurück, wo er Rudolph von Laban kennenlernte, einen Pionier des modernen Tanzes, der eine Form der Be-schreibung von Bewegungen entwickelte, die nach ihm Labanotation heisst. Dies war Pilates erster Kontakt mit der Welt des Tanzes. Er erkannte sofort, welch ausgedehntes Betätigungsfeld ihm hier offenstand. Tänzer brauchen einen auch unter Stress voll funktionsfähigen Körper und riskieren ständig Verletzungen. Er aber konnte sie lernen, wie man diesen vorbeugen bzw. sie heilen konnte.

Die Zeit für die Pilates-Methode war gekommen. 1925 Wurde ein Film über Per Henrik Lings «Gymnastik» gedreht, Dutzende von «Turnhallen» entstanden in ganz Deutschland. Pilates wurde immer bekannter, ja er begann sogar, die deutsche Polizei zu trainieren. Als der deutsche Kaiser ihn aber 1926 aufforderte, die Eli-tetruppen der deutschen Armee zu trainieren, konnte der ausgemachte Pazifist Pilates daran keinen Gefallen finden. Viele Deutsche gingen angesichts der militaristischen Atmosphäre in ihrem Land ins Ausland. Pilates früherer Klient, der Boxer Max Schmeling, ging nach New York. Sein Manager bot Pilates an, ihm dort ein Studio einzurichten, wenn er den späteren Weltmeister weiter trainieren würde. Pilates nahm an und begann mit 42 Jahren ein neues Leben auf einem neuen Kontinent.

In Amerika
Auf der Fahrt über den Atlantik im April 1926 kam es zu einem weiteren einschneidenden Ereignis. Pilates lernte eine junge Frau namens Clara kennen, die Krankenschwester oder Kindergärtnerin war. Die beiden verliebten sich, heirateten und Clara wurde in den USA Pilates rechte Hand, die mit ihm im Studio trainierte, aber auch Werbung und Kundenkontakte übernahm.

Max Schmelings Manager brachte Pilates in einem Studio in der 8th Avenue, Hausnummer 939, unter. Dort widmete dieser sich der Aufgabe, trotz der Weltwirt-schaftskriese genug Klienten anzuwerben, um davon leben zu können. Um ihm herum gingen Unternehmen und Banken pleite, doch Pilates kam irgendwie über die Runden und wurde im neuen Land immer bekannter. Er freundete sich mit den Tänzern Ted Shaun und Ruth St. Denis an, die eine Tanztruppe führten.

Ausserdem half er, ein neues zu Hause für Tanz am Jacob’s Place aufzubauen, was seine Verbindung zur Tänzergemeinde noch stärkte. Bald bekam er berühmte Schüler wie Ron Fletcher, Hanya Holm, Merce Cunnincham und Martha Graham.

1934 veröffentlichte Pilates ein Büchlein über seine neue Methode, das den Titel trug, Your Health.

Your Health Das erste Buch, das Joseph Pilates 1934 schrieb. Balance zwischen Geist und Körper

In diesem Buch werden keine Übungen vorgestellt, sondern nur das Grundprinzip der Balance zwischen Körper und Geist gelehrt. Schon damals verwies Pilates darauf, dass viele Trainer seine Methode nützten, ohne auf ihn als Erfinder zu verweisen. Dieses Problem sollte ihn sein Leben lang begleiten. Sein System, das er Contrology nannte, wurde immer häufiger imitiert. Das galt auch für die neuen Geräte, die er entwickelte, den Cadillac und den Universal Reformer (siehe Bild unten). Denn es war bald bekannt, dass Patienten mit Verletzungen oder Muskelproblemen sich bei ihm in Rekordzeit erholten.

Contrology
Da Pilates seine Nachahmer nicht auch noch unterstützen wollte, veröffentlichte er selbst nur ein Buch über sein Trainingssystem: Return to Life Through Contrology. In diesem 1945 erschienen Buch, führte er die Grundprinzipien aus Your Health weiter aus und beschreibt 34 Bodenübungen, die der Leser zu Hause machen kann, um seinen Körper zu stärken. «Idealerweise», meinte er, «sollten unsere Muskeln unserem Willen gehorchen. Denn unser Wille sollte nicht von den reflexartigen Bewegungen unserer Muskeln gesteuert werden.»

Es gibt auch Filmaufnahmen, die Pilates zeigen, wie er die 34 Übungen ausführt. Dabei wird deutlich, wie anstrengend und extrem sein System war, vor allem verglichen mit dem heute üblichen Pilates-Stil. Pilates selbst ging davon aus, dass die Wirbelsäule immer flach auf dem Boden aufliegen sollte. Bei der klas-sischen Grundstellung sind die Knie durchgedrückt, die Hüften rotieren nach aussen, die Pobacken werden eng zusammengedrückt.

Pilates führte vor seinem Tod 1967 nur wenige Menschen in sein System ein: u.a. Ron Fletcher, Carola Trier, Romana Kryznowski und Eve Gentry. Einige Schüler zogen in andere Städte, um dort das System zu unterrichten. Pilates Frau Clara führte das Studio in der 8th Avenue weiter und versuchte bis zu ihrem Tod 1977, die Ideen ihres Mannes zu schützen. 1980 veröffentlichten Eisen und Friedberg die erste umfassende Einführung ins Pilates-System unter dem Titel The Pilates Method of Physical and Mental Conditioning. Darin werden die Grundprinzipien erläutert, die klassischen Bodenübungen erklärt und die Entwicklung des Pilates-Trainings nachgezeichnet.

Kaum konnte Pilates seine Ideen nicht mehr schützen, wurde sein System mit anderen Lehren vermischt. In den letzten 40 Jahren kamen immer wieder neue Systeme in Mode und gerieten in Vergessenheit. Auch unsere Kenntnis des menschlichen Körpers hat sich weiterentwickelt. Heute wissen wir, dass es besser ist, die Wirbelsäule nicht flach auf den Boden zu drücken und die Gelenke nicht ganz durchzustrecken. Darüber hinaus hat sich seit Pilates Lebzeiten unser Lebensstil verändert, wir sitzen mehr als früher. Die meisten Menschen arbeiten am Computer, fahren mit dem Auto und sehen abends fern. Daher sind Rü-ckenprobleme heute die Nr. 1 bei den Ursachen für Fehlzeiten. Eine schlechte Haltung und wenig Bewegung sorgen dafür, dass die Muskulatur verkümmert. Würde Joseph Pilates im 21. Jahrhundert leben, hätte er seine Übungen den veränderten Bedingungen sicher angepasst, um neues Wissen zu integrieren und aktuellen Problemen zu begegnen. Mit Sicherheit aber hätte er dafür gesorgt, dass jeder, der seine Methode unterrichtet, eine ordentliche Ausbildung erhält.

Pilates heute
Es gibt mittlerweile verschiedene Pilates-Stile. Die ursprünglichen Übungen wurden variiert, neue hinzugefügt. Bis in die Achtzigerjahre gab es drei Hauptstile: American West Coast, American Easy Coast und British. In den Neunzigerjahren entwickelte sich die Einteilung in «sanfte», «klassische» und «rehabilitatori-sche» Ausrichtung. Heute kann man Pilates unterteilen in die Repertory-Richtung, die sich stark am Original orientiert, und die Modern-Richtung, die individuell verschieden sein kann.